Auf der jährlichen Studienfahrt gab es neben den abenteuerlichen Bergwanderungen und den atemberaubenden Stränden vor allem kulturell vieles zu entdecken, wobei besonders eine Kunstepoche keinem entgehen konnte: Mit der Ablösung des geometrischen Stils (v. a. Keramikarbeiten mit figürlichen Darstellungen) traten mit der neuen Epoche der Archaik erste große plastische Darstellungen ein.
Die weite Verbreitung der homerischen Epen und das neue vorherrschende Stadtstaatensystem der Poleis prägten die Kunst maßgeblich: Innerhalb jener Stadtstaaten bildete sich ein Gemeinschaftsgefühl, das lange nicht auf nationale Ebene übertragen worden war. Nur bei großen Ereignissen, wie etwa den Olympischen Spielen, trafen alle aufeinander. Olympia ist allerdings nicht nur dafür lohnenswert, es zu besichtigen: Dort befindet sich auch einer der ältesten Tempel Griechenlands, das Heiligtum der Hera. Die Wände waren aus Lehmziegeln, der Tempelbau steckte noch in den Kinderschuhen, während beispielsweise auf der Insel Ägina der erstaunlich gut erhaltene Aphaia-Tempel bereits den Übergang zur Klassik repräsentiert: Auf dem Westgiebel des Aphaia-Tempels stellen die abgebildeten Figuren keine Beziehung zueinander dar, sie erzeugen kein Gesamtbild, auch die Athena wirkt noch recht teilnahmslos. Doch bereits im Ostgiebel wendet man sich von diesen Charakteristika der Archaischen Kunst ab, Athena setzt sich durch einen Ausfallschritt stimmig in die Szenerie ein.
Noch typischer für jene Kunstepoche sind allerdings die „Kouroi“ (Darstellungen junger, nackter Männer) und „Koren“ (weibliches Pendant, allerdings bekleidet). Im Archäologischen Nationalmuseum in Athen besetzen jene Statuen ganze fünf Säle. Ihr anonymes Gesicht, eine starre Frontalität, blockartige Körper und eine lediglich angedeutete Muskulatur zeichnen sich beispielsweise an der berühmten Kolossalstatue, dem Sounion-Kouros, ab. Die zunehmende Ausarbeitung der anatomischen Details lassen sich bereits drei Säle weiter bei der spätarchaischen Grabstele des Aristion beobachten: Ein welliger Bart und auffallende Arm- und Beinmuskeln wurden bereits um 510 v. Chr. eingearbeitet. Das sogenannte „Archaische Lächeln“ zeigen sie jedoch fast alle.
Neben den Giebelskulpturen nach epischen Motiven fungierte die nun dreidimensionale Darstellung des Menschen als Repräsentant der Gesellschaft: Das kaum sichtbare, unberührte Lächeln könnte als die Reflexion eines Verhaltensideals verstanden werden, wie die Brüder Kleobis und Biton, heute im Museum in Delphi zu besichtigen, es verkörperten: Das Brüderpaar, Söhne der Priesterin Kydippe, standen mit ihrem treuen Gehorsam und Pflichtbewusstsein für höchste Tugend. Aufgrund jener starren Haltung sind die beiden Kouroi eindeutig noch der Archaik zuzuordnen, doch eine geschwungene Silhouette und die auffallend gewölbten Augäpfel mit spitz zulaufendem Lid wenden sich dem langsam ab.
Das „dunkle Zeitalter“ fand sein Ende und die Bausteine für die typisch antike Kultur wurden gelegt, die auch unsere heutige abendländische Kultur beträchtlich formte, was es umso bedeutender und es lohnenswerter macht, sich auf deren Spuren zu begeben. Die Kunst, die an jeder Ausgrabungsstätte unterschiedliche Facetten offenbart, zeigt mehr als teilweise erhaltenen Bauten: Man taucht in eine andere Zeit wie auch jenes Lebensgefühl ein und erfasst die zeitliche Entwicklung mit ihrem enormen Einfluss auf eine ganz neue Weise.
Text: Rebecca Gauger, LK Griechisch, 2. Sem. (Schuljahr 2016/17)
Fotos: Frau Dr. Weber (Schuljahr 2016/17)