Altgriechisch

Das Goethe-Gymnasium ist eines der wenigen Gymnasien in Berlin, die Altgriechisch anbieten (ab der 7. Klasse). Anders als an den meisten anderen altsprachlichen Schulen lernen bei uns alle Schüler Altgriechisch, da diese Sprache und ihre Inhalte nicht nur ein Angebot für einen elitären Zirkel sein sollen. Altgriechisch empfinden wir als sehr wichtig, weil wir hier den Wurzeln unserer europäischen Kultur nachspüren können. An unserer Schule erfreut sich das Griechische großer Beliebtheit, was sich in der Leistungskurswahl widerspiegelt. In manchen Jahrgängen ist die Zahl der Griechisch-Leistungskurse sogar höher als die der Latein-Leistungskurse.

Bei Englisch, Französisch und Spanisch scheint jedem sofort klar zu sein, warum man diese Sprachen lernt. Aber Altgriechisch? Hier muss man näher hinschauen, um den besonderen, aber sehr inhaltsreichen Bildungswert zu erkennen.

Im Allgemeinen

  • hilft Altgriechisch dabei, viele Fremdwörter in der Alltagssprache, ganz besonders aber in den Wissenschaftssprachen zu verstehen und richtig zu gebrauchen; das Gleiche gilt für die Begrifflichkeit, die in den verschiedenen kulturellen Bereichen genutzt wird, außerdem
  • erlangt man im Altgriechisch-Unterricht ein mythologisches Wissen, das einen befähigt, zahlreiche Werke der europäischen Literatur, der Kunst und auch der Musik leichter zu entschlüsseln und in ihrer Bedeutung zu würdigen.

Im Speziellen

setzen wir uns im Altgriechisch-Unterricht mit Grundfragen menschlicher Existenz, die auch heute hochaktuell sind, auseinander. Wie bei Texten jeglicher Sprache kann man die Feinheiten der Gedankenführung nur im Original erkennen, da jede Übersetzung eine Interpretation ist.

Deswegen lernen unsere Schüler in den ersten zweieinhalb Jahren die altgriechische Sprache. In der Oberstufe steht die Lektüre von Originaltexten im Vordergrund; wichtige Schwerpunkte und Fragestellungen sind hier:

1. Literatur – „Unter dem Schutze des Zeus stehen alle Fremden und Bittenden.“ (Homer, Odyssee VI 207)

Fast jegliche Gattung der europäischen (und Welt-) Literatur findet ihren Anfang in der griechischen Antike. Die ältesten Bücher sind die in Versen geschriebenen Werke Homers zum Trojanischen Krieg (Ilias) und zum Schicksal des Odysseus (Odyssee). „Odyssee“ ist zum sprichwörtlichen Ausdruck geworden. An Odysseus faszinierte je nach der aktuellen Lage mal besonders seine rationale Art, bei sämtlichen Problemen dank enormer Intelligenz einen Ausweg zu finden, mal die Problematik einer schwierigen Heimkehr zu seiner Frau Penelope nach zwanzig Jahren Trennung, in den letzten Jahren besonders sein Schicksal als zerschundener, hilfsbedürftiger, auf andere Menschen angewiesener Schiffbrüchiger.

Aber auch in Prosawerken finden wir höchst interessante Interpretationen des Lebens. Der Geschichtsschreiber Herodot sieht in den Perserkriegen die Auseinandersetzung zwischen der freiheitlichen Verfasstheit der Griechen und Autokratie bei den Persern; darüber hinaus sieht er in der Geschichte einen Sinn: Anmaßung und Selbstüberhebung werden über kurz oder lang durch katastrophale Wendungen bestraft. Ganz anders Thukydides wenig später; in seiner Analyse des Peloponnesischen Krieges und der zu diesem führenden Politik erkennt er keine höhere Macht. Alles Geschehen gründet im Menschen, in dessen Gier nach Ansehen, Macht und Reichtum.

2. Politik – Hilft die direkte Demokratie?

Im Athen des 5./4. Jh. v. Chr. erreicht die Volksherrschaft ihre reinste Ausformung. Die Volksversammlung der athenischen Bürger diskutiert und entscheidet alle Fragen, die leitenden Politiker werden fast alle durch das Los bestimmt. Unmittelbarer kann Demokratie nicht sein, und doch wurden und werden ihr von nicht geringen Denkern (z.B. Platon und Aristoteles) größte Vorwürfe gemacht: Um einen Tummelplatz für Demagogen, die Herrschaft des „Pöbels“, einen Verzicht auf Erfahrung und Kenntnisse habe es sich gehandelt. Heute wird viel Kritik an unserer repräsentativen, parlamentarischen Demokratie geübt und mehr „Direktheit“ gefordert, z.B. über Volksentscheide auf Bundesebene. Es lohnt sich, die antiken Texte zur politischen Theorie und Praxis zu unseren gegenwärtigen Problemen zu befragen.

3. Philosophie – Grundfragen menschlicher Existenz und Gesellschaft

Ab dem 6. Jh. v. Chr. versuchen Philosophen die Welt durch eigenständiges Denken und nicht mehr durch Mythen zu erklären. Zuerst fragten sie nach dem Ursprung des Seins, mit Sokrates wandten sie sich aber dem Menschen zu und der Frage, wie das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft gelingen kann. In der folgenden Zeit entwickelten sich zahlreiche philosophische Richtungen und Schulen, die verschiedenen, heute weiterhin hochaktuellen Fragen nachgingen und deren Antworten immer noch „frisch“ wirken:

  • Was ist das Glück und wie findet man es?
  • Wozu braucht man ethische Normen?
  • Wodurch kann es zu einer Verrohung des Menschen kommen?
  • Wie ist das Verhältnis von Einzelnen und Gemeinschaft und wo findet staatliche Macht ihre Grenzen?
  • Was ist eigentlich „Sein“ und „Existenz“?

4. Tragödie und Komödie

„Das ist ja nur Theater.“ – Dies ist eine häufige, leicht herablassende Redensart. Sie erklärt sich mit der heutigen Einstellung, Theater sei ein Teil des Kulturbetriebes, diene dem ästhetischen Genuss, der Zerstreuung oder auch nur der Selbstverwirklichung sensibler Künstler. Im antiken Athen hätte man diesen Ausdruck nicht gebrauchen können. Die gesamte Bürgerschaft nahm aktiv oder passiv am Theater teil, das zum Kult des Gottes Dionysos gehörte. In den nur ein einziges Mal einstudierten Theaterstücken spiegelte sich die Gesellschaft mit ihren aktuellen Fragen anhand eines aus der Sage stammenden Stoffes. So stehen in den Tragödien zeitlose Themen zur Debatte, wie in der „Antigone“ das Verhältnis zwischen Gewissen des Einzelnen und staatlichem Gebot, in der „Elektra“ der eine Familie zerstörende Hass, im „König Ödipus“ die bis zur eigenen Katastrophe gehende Wahrheitsliebe und in der „Medea“ das grauenhafte, mit verratener Liebe begründete Verbrechen.

Ausblick

„Dem Rückgriff auf die Geisteskultur Griechenlands verdanken spätere Epochen wertvolle zivilisierende Impulse: Das gilt bereits für die Römer, die große Bewunderer der griechischen Kultur waren. Das gilt auch für die Kultur des Hochislam im 9. bis 12. Jahrhundert – Aristoteles wurde damals als „der erste Lehrer der Muslime“ bezeichnet! Mithin: Altgriechisch ist der Weg zu wichtigen Kraftquellen westlicher und auch islamischer Zivilisation.“ (H. Meißner, in: Zukunft braucht Herkunft, hrsg. Dt. Altphilologenverband, Walldorf 22004, S. 3)

Weitere Informationen

Text: Fachbereich Altgriechisch (Schuljahr 2019/20)