Auf der Griechenlandfahrt unseres Jahrgangs galt mein spezielles Interesse dem Bezug zum Mythos. Viele uns bekannte Mythen konnten bestimmten Orten zugeordnet werden und ließen sich mit ein wenig Vorwissen recht leicht in einen größeren Zusammenhang einordnen:
Beispielsweise sollen die Brüder Kleobis und Biton der Legende nach im Heraion von Argos auf der Peloponnes als Dank für ihre große Tugend den sofortigen Tod im Zenit ihres Lebens erhalten haben: Sie hatten nämlich ihre Mutter, die Herapriesterin, in glühender Hitze in Ermangelung von Zugtieren bis zum Tempel hinaufgezogen, kein leichtes Unterfangen, wie wir selbst beim Hochlaufen spürten. In Delphi hatten wir bereits das den beiden Brüdern zugeordnete Doppelstandbild gesehen.
Vor allem aber tauchte das Thema der Ilias und der Odyssee die gesamte Fahrt über mehrfach auf. Das Archäologische Nationalmuseum in Athen präsentierte zum 150. Jubiläum des Museums die Sonderausstellung „Odysseies“ mit Exponaten zu den homerischen Epen. Auf dem Ersten Athener Friedhof fanden wir das mit einer Büste und einem Tempel geschmückte Grabmal des Archäologen Heinrich Schliemanns, dem Entdecker Trojas.
Am dritten Tag unserer Reise fuhren wir zur Insel Ägina, wo das Aphaia-Heiligtum zu finden ist. Auf den Giebelfeldern des noch erhaltenen Tempels waren ursprünglich Szenen aus den trojanischen Kriegen abgebildet. Neben nicht sicher identifizierten Figuren standen in den Giebeln äginetische Helden wie Telamon und Aias, die im Trojanischen Kriege eine wichtige Rolle spielten.
Vier Tage später erreichten wir den Nestor-Palast, wo angeblich der Herrscher Nestor über das „sandigen Pylos“ regiert haben sollte. Er soll in der Ilias ein weiser Ratgeber Agamemnons und Streitschlichter gewesen sein und in der Odyssee Telemach auf der Suche nach dessen Vater beraten und beherbergt haben. Auch die sogenannte Nestor-Höhle oberhalb des Strandes an der Voidokilia-Bucht mit ihrem glasklarem Wasser haben wir erkundet. Einige auf dem Sand liegende Stöcke benutzten wir als Gehstock, bestiegen damit den riesigen Felsen der Bucht und spielten die Begegnung zwischen Telemach und Nestor vor („Χαῖρε, ὦ ξένε. Νέστωρ εἰμί.“).
In Mykene folgten wir den Spuren des mythischen Königs Agamemnon, des Anführers der Griechen im Trojanischen Krieg, der auf seiner heimatlichen Burg ein trauriges Ende nahm.
Die Hafenstadt Nafplio bot eine schöne Aussicht auf das Meer, eine noch bessere Aussicht aus 216 m Höhe von der Festung Palamidi auf Stadt und Meer sowie T-Shirts mit dem trojanischen Pferd, einem Originaltext Home rs aus der Ilias als Hauptmotiv und der Aufschrift „Nafplio“ darunter. Der Zusammenhang wird einem erst klar, wenn er weiß, dass die Festung Palamidi nach dem in Nafplio beheimateten griechischen Helden des trojanischen Krieges Palamedes benannt wurde.
Keinen Bezug zu Ilias und Odyssee hat das Theater des Asklepios-Heiligtums in Epidauros, aber eine einmalige, klare Akustik, weshalb wir uns die Freiheit nahmen, diese auszunutzen und nach einem Zitat aus Goethes „Faust“, das eine Schülerin des LK Deutsch vortrug, einen Ausschnitt aus Sophokles‘ „Antigone“ im iambischen Trimeter vorzulesen. Auch die ersten Verse der Odyssee, die wir uns noch in diesem Halbjahr mit Hephaistos‚ Hammer einhämmern mussten, standen auf unserer Liste, konnten aber nur zur Hälfte vorgetragen werden, da uns nun das Wachpersonal aus der Orchestra holte.
Der wunderbare Panorama-Blick auf Tal, Hügel und Meer, die langen Wanderungen und Badegelegenheiten am sonnigen Strand, der Besuch von Ausgrabungsstätten und Museen: Der mythische Hintergrund mag für Touristen nur ein Zusatz zu diesem Gesamterlebnis sein, ist aber die Besonderheit, worin sich das Land von anderen unterscheidet, und daher ein weiterer Grund dorthin zu fahren.
Text: Asuto Miwa, LK Griechisch, 2. Sem. (Schuljahr 2016/17)
Fotos: Frau Dr. Weber (Schuljahr 2016/17)